Das Vorbereitungsseminar

Was habe ich eine Woche lang in Berlin gemacht? Ich hatte ein Notizbuch, in dem ich alle wichtigen Dinge aufgeschrieben habe. Hier ein Auszug:


Schule

Es gibt eine Schulpflicht, aber die öffentlichen Schulen sind sehr schlecht, besonders weil die Lehrer größtenteils eine schlechte Ausbildung haben (kann ich schlecht beurteilen), aber auf jeden Fall werden sie schlecht bezahlt. Seit 2000 ist der Hauptschulbesuch offiziell kostenlos, viele Lehrer fordern jedoch eine inoffizielle Schulgebühr von den Schülern, um sich ihr Gehalt aufzubessern. Ploy (einer der anwesenden Kambodschaner) hat erzählt, dass an den öffentlichen Schulen ab der 4. Klasse zwar Englisch unterrichtet wird, aber das es so wenig ist, dass die Kinder kaum etwas aufnehmen können. NGO's (Nichtregierungsorganisation, wie zum Beispiel S.C.A.O.) wollen das auffangen, indem sie zusätzlichen Englischunterricht anbieten.  

Somphors beim Unterrichten
Somphors beim Unterrichten

Auch wir haben während unseren Khmer-lessons mitbekommen, wie in Kambodscha unterrichtet wird. Schlichter Frontalunterricht: Der Lehrer hat sein Buch, schreibt an die Tafel, die Kinder (wir) schreiben ab, und sprechen nach, was der Lehrer sagt. Diese Art von Unterricht bin ich nicht mehr gewohnt, schon allein, weil es ewig her ist, dass ich eine Fremdsprache von Grund auf gelernt habe. Deshalb waren diese khmer-lessons nicht nur gut, um die Sprache zu lernen, sondern auch, um sich bewusst zu werden, wie schwer es für die kambodschanischen Kinder sein wird, von uns Englisch beigebracht zu bekommen. Die englischen Laute sind für uns natürlich und einfach auszusprechen, wogegen wir uns bei Khmer abkämpfen müssen, nur annähernd Ploys Laute nachzuahmen. Das war oft natürlich witzig, aber brachte den ein oder anderen vielleicht insgeheim doch zum Verzweifeln. Genauso stelle ich es mir für die kambodschanischen Kinder vor, Englisch zu lernen. Und ich bin froh, durch diese Stunden eine Art Verständnis entwickelt haben zu können.  

Uns wurde erzählt, dass die kambodschanischen Schüler sehr diszipliniert sind. Sie sind in der Schule, weil sie lernen wollen. Auch uns wird dieser Respekt entgegen gebracht werden, und wir sollen dabei bleiben. Also keine Sonderregeln einführen, etc. Natürlich sollen wir etwas mehr Spaß in das Lernen bringen, hier in Deutschland wird ja gegen den Frontalunterricht gewettert. Jedoch muss eine Balance zwischen Strenge und Spielen gefunden werden, die natürlich auch den Vorstellungen des Rektors entspricht. 

Auch für uns gibt es Regeln. Zum Beispiel bei der Kleidung: In der Schule müssen Schultern, Knie und natürlich Dekolletee bedeckt sein, alles andere wäre „too sexy“. Niemand würde etwas sagen, in Kambodscha wird direkte Kritik als unhöflich angesehen. Aber so kam es, dass manche Freiwillige sich nichtsahnend normal kleideten, wie sie es aus Deutschland gewohnt waren, und erst später über Umwege haben die Entsendeorganisationen dann die Empörung der Kambodschaner mitbekommen: 

„Warum schicken die uns als Lehrer ihre Prostituierten hin?“

So kann aus einem kleinen Fettnäpfchen ein riesengroßes Missverständnis entstehen. Gerade weil Kambodschaner dann nicht direkt sagen, was wir falsch machen, ist es für uns wichtig, uns im Vorhinein zu informieren, oder vor Ort deutlich zu machen, dass diese Rückmeldung wichtig ist. Keine Ahnung, das wird wohl nicht ganz einfach werden, aber Samphors (eine Kambodschanerin vom Seminar) meinte, dass die offiziellen Regeln zwar so und so lauten und wir uns in der Anfangszeit als Orientierung ruhig dran halten sollten, aber dass wir im Laufe der Zeit bemerken werden, wie (weniger) ernst diese Regeln genommen werden, und dass wir unseren eigenen Umgang damit finden werden. Und dann gibt es da natürlich auch noch die Unterschiede zwischen Land und Stadt: 2 Mädchen vom Vorbereitungsseminar werden in einer Landschule unterrichten, dort ist es Pflicht, während der Arbeit lange Hosen und lange Shirts zu tragen. In der Stadt hingegen laufen wohl auch viele Mädchen sogar schon in „too sexy“-HotPants rum, ohne dass sich jemand dran stört. Werde ich dann sehen!


Verhaltensregeln

Nicht nur in der Schule gelten gewisse Regeln. Neben den Khmer-lessons war der Vortrag bezüglich den Verhaltensregeln vielleicht das interessanteste vom Seminar: weil es (genau wie die Sprache) einfach so wichtig für unseren Alltag sein wird.

Grundsätzlich ist der gegenseitige Umgang in Kambodscha sehr respektvoll. Für eine höfliche Begrüßung werden die Hände vor der Brust zusammengelegt und man sagt „Tschomreapsur“ (ja, das ist meine Lautsprache, jedem das seine). Je mehr Respekt man dem Gegenüber entgegen bringen will, desto höher werden die Hände gehalten. Generell verdienen ältere Menschen mehr Respekt, noch mehr Respekt verdient der König, und am meisten Respekt verdienen die Götter. Es gibt da 5 Stufen, wo die Hände hingehalten werden sollen, aber so genau kommt es für uns jetzt auch noch nicht drauf an.  

Mein Notizbuch
Mein Notizbuch

Wie auch schon leicht bei der Begrüßung deutlich wird: Der Kopf ist heilig. So darf man nicht mit den Füßen auf dem Kopfende vom Bett sitzen, beim Sitzen dürfen die Fußsohlen nicht auf den Kopf eines anderen zeigen, auch darf man den Kopf von älteren Leuten nicht ohne Erlaubnis anfassen. Es ist schrecklich unhöflich, über jemanden, der im Weg sitzt/liegt rüber zu steigen, denn die Kambodschaner wollen einfach nichts über ihrem Kopf haben. Dazu wurde uns eine Geschichte von einem Waisenhaus in Kambodscha erzählt, in dem Hochbetten eingeführt werden sollten, aber die Kinder wollten nicht in den unteren Betten schlafen, weil dann etwas über ihrem Kopf gewesen wäre. Das finde ich schon echt krass und wichtig zu wissen..


Nicht alle Verhaltensregeln haben was mit dem Kopf zu tun:

Wenn ich eingeladen werde, gehört es sich vielleicht, ein kleines Geschenk mitzubringen. Dieses Geschenk müsste ich dann auch mit 2 Händen übergeben, also die eine Hand stützt die andere, und das ist nicht nur bei Geschenken so, sondern bei allem was du gibst oder nimmst, sollst du beide Hände benutzen. Außer natürlich, die zweite Hand ist grade nicht einsatzfähig. Ich hoffe ich denk da immer dran... Wenn ich die Wohnung meines Gastgebers betrete, muss ich die Schuhe ausziehen, und wenn ich zum Essen eingeladen werde, muss ich warten, bis der Gastgeber anfängt zu essen. Außerdem darf ich als Frau auch nicht im Schneidersitz sitzen, die Fußsohlen sollen verdeckt sein (unter Freunden gelten natürlich eigene Regeln).

 

Außerdem:

Der Boy/Girlfriend darf nicht in der Öffentlichkeit geküsst werden. Frauen dürfen nicht neben Mönchen sitzen, Männer neben Nonnen sind kein Problem. Anstatt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, benutzt man höflich die ganze Hand. Auf Partys darf ich auf keinen Fall komplett in schwarz gekleidet sein, auf Beerdigungen gehört es sich, irgendetwas Weißes zu tragen, und auf Hochzeiten darf kein Fitzelchen schwarz zu sehen sein, man darf aber auch nicht komplett in Weiß kommen. Hach, kompliziert.


Als Laluy (der dritte Kambodschaner auf dem Seminar) mir veröffentlichte, dass in Kambodscha während dem Essen nicht geredet wird, musste ich danach bei jeder Mahlzeit an seine Worte denken, denn wir haben natürlich alle laut durcheinander geredet und gelacht. Eine andere Bemerkung von ihm hat mich ebenfalls zum Nachdenken gebracht: „Ich glaube die Berliner sind eigentlich doch ganz nett“ Während den ersten Tagen in Berlin dachte er, dass alle Berliner sehr schlecht gelaunt und böse sind, weil sie alle so gucken. Er erzählte, dass in Kambodscha alle lächeln und freundlich sind, das hat mich sehr berührt, denn ich bin momentan in einer Phase, in der ich dauernd merke, wie toll einfach ein Lächeln sein kann, was für Glücksgefühle ein Lächeln auslöst. Und dann fahre ich wieder mit der S-Bahn in die Innenstadt und seh all die ausdruckslosen, ja beinah schlecht gelaunten Gesichter und muss an Laluy denken und lächeln und fühle mich glücklich. Wieso ist der Standartgesichtsausdruck in Deutschland so … mies? Wirklich, allein diese Bewegung der Mundwinkel, wenn man es wirklich ernst meint, allein diese Bewegung löst etwas in uns Menschen aus, was uns glücklich macht. Ich erlebe dieses Wunder täglich und freue mich auf Kambodscha mit seinen glücklichen Gesichtern. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Tatjana Mücher (Freitag, 14 August 2015 12:54)

    Liebe Inka,
    das war ja ein toller, informativer und interessanter erster Einblick in "die neue Welt" in die du nun für 1 Jahr eintauchen wirst.
    Viel Erfolg und Freude wünsche ich dir.
    Alles Liebe
    Tatjana

  • #2

    Shahrzad (Montag, 24 August 2015 13:12)

    Liebe Inka, <3
    danke für deine E-Mails!
    Wir wünschen dir viel Erfolg und eine sehr seeeeehr schöne Zeit in Kambodscha!
    Alles Gute und Liebe UND
    viele Grüße von
    Johannes und Shahrzad